Warum schreibe ich über dieses Thema?
Von Kindesbeinen an fühlte ich mich "anders" und war schon immer mit dem Thema Reizüberflutung konfrontiert. Wenn ich das Problem anderen Menschen schilderte erntete ich häufig Unverständnis. Bestenfalls kamen kleinere Hilfestellungen, aber gern auch die Antwort, dass ich mir doch mal ein dickeres Fell zulegen solle. 🤯
Ein Schlüsselerlebnis war für mich ein umfangreicher medizinisch-psychologischer Test. Nachdem ich über viele Stunden verschiedene Prozesse durchlaufen hatte attestierte mir die Fachfrau, dass sie noch nie einen Menschen wie mich kennengelernt hatte, da mein Aufnahmepotenzial wirklich überdurchschnittlich sei.
Demzufolge ist es klar, dass mein Nervensystem Tag für Tag mit mehr Reizen konfrontiert ist als es sich die meisten Menschen vorstellen können. Als ich vor einigen Jahren einen Hochsensibilitäts-Test im Internet mit fast voller Punktzahl abschloss vervollständigte sich das Bild für mich.
In der heutigen Zeit wird Sensibilität scheinbar immer noch zum Teil mit Schwäche gleichgesetzt, dabei bringt es grosse Stärken mit sich. Man hat Einblicke in Welten die manch anderem verborgen bleiben. Ich kann daher sehr gut nachempfinden, wenn auch Tiere hochsensibel reagieren.
Meine Stute Leika
Im Mai 2010 kam Leika zu mir. Über unsere langen gemeinsamen Jahre könnte ich so viel schreiben, dass dies ein Buch füllen würde. Die Kurzfassung ist, dass sie wirklich so extrem sensibel ist, dass viele Fachleute entweder ratlos waren oder direkt von ihr Abstand genommen haben.
Ich kam nicht selten an den Rand der Verzweiflung, aber bekanntlich wächst man durch gemeisterte Herausforderungen über sich hinaus. Leika hat für ihre Verhältnisse wirklich tolle Fortschritte gemacht, doch bleiben diese immer in einem gewissen Rahmen. Denn Hochsensibilität ist etwas was sich nicht wegtrainieren lässt.
Wir haben beide viel voneinander gelernt und eine solche Weiterentwicklung wäre mit einem "normalen" Pferd für mich niemals möglich gewesen.
Was hat mir bei Leika geholfen?
- Sie so in ihrem Wesen zu respektieren wie sie ist
- Sie keinesfalls verbiegen zu wollen oder gar Zwangsmassnahmen an ihr durchzuführen
- Auch wenn sie Bewegung sehr mag geht es ihr in Krisensituationen im Stall besser, da sie dann von Reizen abgeschirmt ist (Auslöser z.B. Personen oder Fahrzeuge am Horizont, Wildgänse, Feuerwerk)
- Ruhe und Stabilität vermitteln
- Sie sehr langsam und vorsichtig an Neues heranführen
- Ihre besondere Persönlichkeit wertschätzen
- Dankbarkeit dafür was sie mir mitgegeben hat und dass ich dadurch anderen Menschen und Tieren helfen kann
❤️ Hochsensibilität ist keine Krankheit - es ist eine Besonderheit ❤️
Wie äussert sich Hochsensibilität bei Menschen?
Auch wenn es hier heute um Tiere gehen soll möchte ich zum besseren Verständnis vorab einige Merkmale aufführen, die hochsensible Menschen kennzeichnen.
Gefühle und Gedanken
- Intensive und vielschichtige Gefühle
- Vermehrtes Nachdenken über das Leben und Sorge um andere
- Emotionen anderer Menschen werden fast so wahrgenommen als wären es die eigenen
- Stimmungen anderer Menschen beeinflussen den persönlichen Gemütszustand
- Mit Kindern wird schnell eine gemeinsame Ebene gefunden
- Es besteht eine besondere Nähe zu Tieren
Soziales
- Sinn für Harmonie / Vermeidung von Konflikten
- Sich unverstanden und anders fühlen
- Zurückhaltende Persönlichkeit
- Starker Sinn für Gerechtigkeit
- Hoher Anspruch in Bezug auf Authentizität und Glaubwürdigkeit
- Gründliche, zuverlässige und perfektionistische Arbeitsweise
- Als guter Ratgeber und Zuhörer von vielen geschätzt
Reizüberflutung und Rückzug
- Gefühl von Anstrengung ausgelöst durch zu viele Menschen und Sinneseindrücke, z.B. beim Einkaufen oder auf Reisen
- Seit der Kindheit bestehendes Bedürfnis nach regelmässigen Rückzügen und Ruhepausen um erlebtes besser verarbeiten zu können
- Termindruck wird als besonders belastend empfunden
- Geräusch-, Geruchs- und Lichtempfindlichkeit
- Erhöhte Wachsamkeit / Schreckhaftigkeit
Körperliche Aspekte
- Schnelle Gereiztheit bei Hunger
- Sensiblere Reaktion auf bestimmte Stoffe, z.B. Koffein
- Erhöhte Schmerzempfindlichkeit / Berührungsempfindlichkeit
- Ungewisse Reaktion auf Medikamente (Wirkung zu stark oder zu schwach)
Verbundenheitsgefühl und Sinnsuche
- Der Aufenthalt in der Natur berührt die Seele, hier kommt man ganz zu sich
- Telepathische Erlebnisse, insbesondere mit nahestehenden Menschen
- Fähigkeit tiefe bereichernde Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen
- Schon als Kind fragte man sich nach dem Sinn des Lebens
- Mystische, unerklärliche Erfahrungen
Was gibt hochsensiblen Menschen Kraft?
- Der Kontakt zu Tieren
- Spaziergänge in der Natur
- Ruhe und Zeit für sich
- Meditationen
- Seine eigenen Bedürfnisse achten
- Tiefgründigkeit und Sinnhaftigkeit
- Das Ausleben der phantasievollen und visionären Persönlichkeit
- Kunst wie Musik, Filme und Bilder üben eine besondere Faszination aus
- Die erlebte Zeitlosigkeit beim Malen, Schreiben, oder anderen kreativen Tätigkeiten wird als sehr befreiend empfunden
Hochsensibilität bei Tieren
Hochsensibilität soll mittlerweile bei über 100 Tierarten nachgewiesen worden sein.
Zu diesem Thema gibt es viele Theorien und wissenschaftliche Erklärungen. Als wahrscheinlich gelten erbliche sowie entwicklungsbiologische Faktoren.
Tiere sind grundsätzlich sehr sensibel in ihrer Wahrnehmung, doch nehme einige Tiere Sinnesreize noch viel deutlicher und intensiver wahr. Daraus resultieren impulsivere, stärkere und langanhaltendere Reaktionen auf Reiz-Einwirkungen als im Normalfall.
Neurowissenschaftlich lässt sich die Hochsensibilität mit einer besonderen Form der Reizverarbeitung erklären. Einem dieser Erklärungsansätze zufolge stuft der Thalamus im Gehirn - wie beim Menschen auch - weit mehr Reize als notwendig als beachtungswürdig ein. Somit erreichen dann auch eine zu hohe Anzahl von Reizen das Bewusstsein.
Die Flut an Umweltreizen muss erst einmal verarbeitet werden. Hochsensiblen Wesen fällt das sehr schwer, weshalb es häufig zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen kommt.
Bei hochsensibel geborenen Menschen und Tieren ist der Filter für "wichtig" bzw. "unwichtig" zu durchlässig. Die Folge: Reizüberflutung 💥
Angeborene oder erworbene Sensibilität?
Bei einer angeborenen Hochsensibilität wird diese Veranlagung nicht immer sofort erkannt, da das Tier bereits mit diesem Verhalten auf die Welt kam.
Etwas leichter fällt dies bei einer erworbenen Überempfindlichkeit, welche durch ein traumatisches Erlebnis entstanden ist. Hier kommt es zu einer verzögerten psychischen Reaktion auf ein belastendes Ereignis, so dass sich Reizbarkeit, Wachsamkeit oder Schreckhaftigkeit zeigen können. Wenn der Auslöser bekannt ist besteht hier die Möglichkeit gemeinsam mit dem Tier gezielt an einer Besserung zu arbeiten.
Hochsensibiltät, Trauma und Hyperaktivität
Mit einer Diagnose wird der Versuch unternommen, eine Situation greifbarer zu machen. Man gibt dem Kind sozusagen einen Namen. Wie ich selbst bereits die Erfahrung machen durfte können Namen für ein Krankheitsbild oder Geschehnis je nach Ansprechpartner ganz unterschiedlich ausfallen. Welche Diagnose man auch immer für sich oder sein Tier erhält - man sollte dabei auch immer seiner eigenen Wahrnehmung vertrauen.
Vergleicht man in diesem Fall Hochsensibilität, Trauma und Hyperaktivität so haben alle eine verstärkte Reizwahrnehmung gemeinsam. Die ausgeprägte Empathie findet man hingegen vermehrt bei der Hochsensibilität. Auch können Hochsensible im Vergleich zu Trauma-Patienten und Hyperaktiven bei Stille zur Ruhe kommen und verspüren nicht den Drang nach neuen Reizen.
Mögliche körperliche Beschwerden bei hochsensiblen Tieren
- Allergien
- Asthma
- Magen-Darm-Beschwerden
- Futtermittelunverträglichkeiten
- Schuppiges, stumpfes Fell
- Schnellere Ermüdung
- Wetterfühligkeit
- Infekte
Das Thema erkennen
Sowohl Gross- als auch Kleintierhalter können damit konfrontiert sein, dass ihre Tiere eine höhere Empfindlichkeit zeigen, sich schlecht konzentrieren können oder extrem auf Reize reagieren. Der Umgang mit dieser Situation ist oft ein längerer Lernprozess.
Es ist bewiesen, dass Übersensibilität Menschen und Tiere dazu bringen kann in bestimmten Situationen anders zu reagieren als erwartet. Instinktive Reaktionen von Tieren können in der ganzen Bandbreite auftreten, vom kompletten Rückzug bis zur Aggressivität. Gerade bei grösseren Tieren können Überreaktionen sehr herausfordernd sein, so dass ein vorausschauender und achtsamer Umgang unerlässlich ist.
Häufig können Tierhalter das Verhalten nicht einordnen und weisen dann z.B. ihren Hund zurecht. Wenn ein Hund sich in diesen Fällen permanent unterwerfen muss kann dies langfristig gesehen zu körperlichen oder psychischen Erkrankungen führen.
🌟 Hochsensitivität kann man weder desensibilisieren noch wegtrainieren, sie ist immer vorhanden. 🌟
Formen der Hochsensibilität
Wie beim Menschen auch können hochsensible Tiere über unterschiedliche Arten der Wahrnehmung verfügen. Die im folgenden genannten Grundtypen können in unterschiedlichem Ausmass in Erscheinung treten.
💫 Sensorische Hochsensibilität
Sensorisch Hochsensible besitzen sehr feine Sinneswahrnehmungen in Bezug auf Geräusche, Nahrung, Farben, Formen, Frequenzen oder Licht. Die Sinneseindrücke werden ausserordentlich intensiv und detailliert wahrgenommen und sehr eingehend über einen längeren Zeitraum verarbeitet.
Bestimmte akustische Reize können als unerträglich empfunden werden, z.B. das leise Summen einer Leuchtstoffröhre oder das Ticken einer Uhr. Aber natürlich kann auch Lärm ein Problem darstellen, wie z.B. ein zu lauter Staubsauger. Die Empfindlichkeit hängt hier mit bestimmten Frequenzbereichen zusammen. Bereits der Schwarzpulver-Geruch zu Silvester oder ein zu heller Blitz können eine Ausnahmesituation hervorrufen.
Viele sensible Tiere sind sehr berührungsempfindlich und wollen von Fremden nicht angefasst werden. Die hohe Sensibilität kann so weit gehen, dass selbst Luftbewegungen und Wind Störfaktoren darstellen. Zu heisse und zu kalte Temperaturen werden sowohl in der Umgebung als auch bei der Fütterung nicht gut vertragen. Auch kann eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit vorliegen.
💫 Emotionale Hochsensibilität
Hochsensible Lebewesen nehmen ihre Gefühle sehr viel intensiver wahr als Normalsensible. Jedes emotionale Erlebnis wirkt sehr viel tiefer und wird länger bearbeitet. Sie verfügen über eine ausgeprägte Empathie.
Andere Gefühle werden so intensiv mitempfunden dass sie kaum von eigenen Gefühlen zu unterscheiden sind. Emotional hochsensible Tiere reagieren so deutlich auf Feinheiten, dass sie dadurch auch sehr stark durch ihr menschliches Umfeld und dessen Verhalten beeinflusst werden. Ein Beispiel wäre hier ein Streitgespräch im Familienkreis. Nicht selten versucht dann der Hund den Streit zu schlichten.
💫 Kognitive Hochsensibilität
Diese Tiere besitzen ein starkes, intuitives Gefühl für das was richtig oder falsch ist. Es besteht häufig ein Hang zum Perfektionismus, was insbesondere bei Leistungserwartungen oder im Sport zu Herausforderungen führen kann.
Reizwahrnehmung vereinfacht dargestellt:
Normalsensibles Wesen ➡️ Filter
Hochsensibles Wesen ➡️ Trichter
Hilfreiche Fragen 💡
- Ist mein Tier besonders schmerzempfindlich?
- Reagiert mein Tier bei Lärm und Hektik sehr gestresst?
- Wird mein Tier bei vielen Menschen nervös?
- Neigt mein Tier bei Streit zu übermässigen Reaktionen?
- Bestehen Nahrungsmittelallergien?
- Reagiert mein Tier stark auf Gerüche?
- Gehört mein Tier zu einer Rasse, die generell zu verstärkter Sensibilität neigt (z.B. Schäferhund, Border Collie oder Australian Shepherd)?
- Ist mein Tier immer in Alarmbereitschaft?
- Beobachtet mein Tier immer genau die Umgebung?
- Ist mein Tier schnell aufgeregt - egal ob der Anlass positiv oder negativ ist?
- Neigt mein Tier zu Rastlosigkeit?
- Reagiert mein Tier bereits bei kleinsten Veränderungen in der Stimme (Lautstärke, Ton)?
- Ist mein Tier überaus intelligent?
- Werden bereits kleinste Veränderungen im Umfeld bemerkt?
- Benötigt mein Tier eine lange Zeit der Regeneration nach einem Stress-Ereignis?
Hochsensibler Mensch = Hochsensibles Tier?
Studien haben ergeben, dass hochsensible Tiere tatsächlich verhältnismässig häufig ebenso sensible Besitzer haben. Dies muss aber nicht immer der Fall sein, es gibt natürlich auch andere Konstellationen.
Doch spüren es Tiere instinktiv wenn sie es mit "Ihresgleichen" zu tun haben, genauso wie es auch umgekehrt der Fall ist. Die Beziehung ist sofort wesentlich intensiver.
Hochsensible Menschen können ganz besonders von einer Beziehung zu einem Tier profitieren. Nicht zuletzt auch weil die Beziehung ganz anders ist als zu einem Menschen, da gegenseitiges Verständnis meist von Grund auf vorherrscht. Hochsensible Tiere können sehr empathisch sein und die Stimmung sowie die körperliche Befindlichkeit ihres Besitzers schon erahnen bevor dieser es selbst bemerkt.
Was ist kontraproduktiv? ⛔️
- Das Tier zwingen sich einer Angst-auslösenden bzw. überreizenden Situation zu stellen
- Grobe Erziehung ohne Einfühlungsvermögen
- Unverständnis
- Erziehungsmassnahmen nach Schema F - Jedes Tier ist und reagiert individuell
- Ein hochsensibles Tier wie ein normales Tier zu behandeln, nach dem Motto: "Das kann doch nicht so schlimm sein."
- Überforderung jeglicher Art
- Fehldeutung des Verhaltens und erfolglose Therapien
Was hilft? ✅
- Akzeptanz der Situation nimmt den Druck (Widerstand führt nur zu Frustration)
- Anerkennen, dass die Hochsensibilität ein Persönlichkeitsmerkmal des Tieres ist
- Das Tier gezielt vor Reizüberflutung schützen (z.B. in einen ruhigen Raum oder in den Stall bringen)
- Stress-Situationen meiden bzw. gezielt abmildern (z.B. Vorbereitungen für Silvester treffen)
- Erhöhtes Ruhe- und Rückzugsbedürfnis respektieren
- Ein strukturierter Tagesablauf mit festen Ritualen
- Trainingseinheiten kürzer ausfallen lassen, dafür lieber öfter wiederholen
- Nach einem aufregenden Erlebnis zeitnah die Situation entstören, z.B. den Hund etwas kauen lassen
- Sich auf die positiven Eigenschaften des Tieres fokussieren, wie z.B. die ausgeprägte Klugheit oder das Einfühlungsvermögen
- Verständnis für das Tier aufbringen, in dem Wissen dass es nicht anders handeln kann
- Dem Tier Ruhe und Sicherheit vermitteln
- Immer wieder Raum für Entspannung lassen
- Vorausschauend handeln und Reize im Vorfeld abstellen
- Sich auf einen gemeinsamen Lernprozess einlassen
- Versuchen die Welt aus den Augen des Tieres zu betrachten
- Dankbarkeit für dieses besondere Tier entwickeln
- Liebe und Einfühlungsvermögen 💖
Was können wir von hochsensiblen Tieren lernen?
Sie zeigen sich unverfälscht und authentisch und verstecken ihre sensible Seite nicht. Tiere übertreffen uns Menschen in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit so gut wie immer, da sie sich jederzeit auf ihre Wahrnehmung verlassen können und müssen.
Wir alle kamen als unverfälschte Babys auf die Welt und wurden dann durch Erziehung oder gesellschaftliche Ansprüche geformt. Unsere Gaben und Talente haben wir nicht selten verdrängt oder gar bewusst abgelehnt. Dabei ist es so wichtig, den Kontakt zu seinem inneren Wegweiser herzustellen und ihm Vertrauen zu schenken.
Auch zeigt sich mir immer wieder wie sehr ein Tier seinen Menschen spiegelt. Erkennt und ändert der Besitzer sein Verhalten so zeigt sich dies auch im Verhalten des Tieres.